WimmisIn Wimmis aufgewachsen, entwickelte sich Gertrude Lörtscher später zu einer eigentlichen Rebellin. In Europa focht sie für Frieden und Gerechtigkeit, in Mexiko kämpfte sie für den Erhalt der Tropenwälder.
Die Präsidentin Kyra Nuñez-Johnsson (rechts) und die Vizepräsidentin Yvonne Meyer von Na Bolom Schweiz vor dem Pfarrhaus in Wimmis. Hier wohnte Trudi als Tochter des Pfarrers Otto Lörtscher von 1904 bis 1910. Bild: Peter Rothacher
In Mexiko ist die Frau ein Begriff, in Wimmis, wo sie einen Grossteil ihrer Kindheit verbracht hat, kennt sie kaum jemand: Gertrude Duby Blom. Erst eine Anfrage der Institution Na Bolom aus Genf an die Gemeindeverwaltung weckte im Ort am Fusse des Niesens das Bewusstsein, dass hier von 1904 bis 1910 ein Mädchen gelebt hatte, das später als aussergewöhnliche Frau Geschichte schreiben sollte.
Und dies wortwörtlich, denn Trudi Blom – wie sie sich später nannte – entwickelte sich zur Schweizer Sozialistin, Fotografin, Anthropologin, Umweltschützerin und Journalistin. Mehr als ihr halbes Leben verbrachte sie in Mexiko und dokumentierte die Mayakulturen von Chiapas, vor allem die Kultur der Lacandonen. Zugleich kämpfte sie gegen die Abholzung des Tropenwaldes und gründete das Zentrum Na Bolom.
2 Jahre vor Trudi Bloms Ableben im Alter von 92 Jahren wurde ihr 1991 von der UN-Organisation United Nations Environment Programme die Auszeichnung «Global 500 Award» für ihre «Verdienste zur Erhaltung einer gesunden Welt» verliehen. Als gemeinnützige Stiftung lebt das Vermächtnis der Schweizerin in Mexiko weiter und unterstützt dort den Erhalt der Lacandona-Wälder und ihrer Bewohner.
Mexikanerinnen in Wimmis
Vor einem Jahr wurde in dem Sinne der Schweizer Kulturverein Na Bolom.ch mit Sitz in Genf und Bern gegründet. Zu dessen einjährigem Bestehen besuchte nun eine Delegation dieser Institution Wimmis, um dort auf Trudis Kindheitsspuren zu wandeln.
So stellte Gemeindepräsident Peter Schmid den Gästen die Gemeinde vor, und Fritz Walther liess die Geschichte der Kirche Revue passieren. «Hier findet sich der Bezug zu Trudi Blom», informierte Lokalhistoriker Erich Liechti. «Sie war die Tochter von Pfarrer Otto Lörtscher, der hier von 1904 bis 1910 wirkte. Die Familie kam von Innertkirchen, wo Trudi 1901 geboren worden war, und lebte dann hier während 6 Jahren im Pfarrhaus.» Danach sei die Familie nach Bern weitergezogen, wo Pfarrer Lörtscher kantonaler Armeninspektor geworden sei.
Erst berüchtigt, dann berühmt
«Meine Tante Marie Schweizer-Liechti ist mit Trudi zur Schule gegangen – sie war ihre beste Freundin», wusste Erich Liechti zu berichten. Am Treffen in Wimmis waren neben ihr mit Regina Wolf und Anita Lohner noch zwei weitere Seniorinnen präsent, die sie persönlich gekannt hatten und die mit ihr verwandt waren. «Trudi war eine Nichte meiner Grossmutter», erklärte Anita Lohner. Die Ausgewanderte habe in der Familie als berüchtigt gegolten, bevor sie dann berühmt geworden sei.
Bei ihrem Besuch in Mexiko habe sie die Frau 1980 als «herzlich, direkt und sehr bestimmt» kennen gelernt, berichtete Lohner. «Mit ihr konnte ich eine Expedition per Flugzeug in den Dschungel erleben. Sie war eigentlich eine sensible Persönlichkeit, musste sich aber ihr ganzes Leben lang in einer Männerwelt behaupten.»
Entsprechend habe sie jemand mit den Worten «sie kann Tee servieren wie eine Lady – aber auch fluchen wie ein Stallknecht» beschrieben.
Im Dschungel verliebt
Die Wimmiser Gastgeber wurden ihrerseits von Na-Bolom-Präsidentin Kyra Nuñez-Johnsson über das Leben der revolutionären Frau informiert. Dieses war schon vor dem Engagement in Mexiko alles andere als normal verlaufen.
In Mexiko arbeitete Gertrude Duby 1940 als Sozialarbeiterin und Journalistin für das Arbeitsministerium und untersuchte die Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiterinnen. Ab 1943 begann sie als Expeditionsbegleiterin die Kultur und Landschaft der Chiapas-Indianer zu dokumentieren. Auf einer Expedition zu den Lacandón-Indianern lernte sie den dänischen Archäologen und Kartografen Frans Blom kennen, den sie 1950 heiratete.
In San Cristóbal de las Casas in Chiapas restaurierte das Paar ein halb verfallenes Priesterseminar und nannte es Na Bolom (Jaguar). Dieses Tier ziert denn auch das Logo der heutigen Institution. «Die Casa Na Bolom wurde zu einem beliebten Treffpunkt für Besucher, seien es Indianer oder Persönlichkeiten aus aller Welt», berichtete Kyra Nuñez. Bis zum Tode von Frans Blom 1963 unternahm das Paar auf der Suche nach Mayaruinen immer wieder Expeditionen in den Tropenwald, wobei einzigartige Dokumentationen entstanden.
Unermüdliche Kämpferin
Trudi Blom engagierte sich in ihrer zweiten Lebenshälfte als Umweltaktivistin vehement gegen die systematische Abholzung der Lacandona-Wälder. Dabei scheute sie auch die Konfrontation mit der mexikanischen Regierung nicht: Mit mehreren Büchern, Filmen und Fotos focht sie weltweit einen Kampf gegen die Abholzung der Tropenwälder.
Vor Ort pflegte sie bis am Schluss eine enge Beziehung zum Schamanen Naha Chan Kin. Sie gründeten eine Baumschule, die auch heute noch einheimische Bäume kostenlos abgibt, wenn sie im Staat Chiapas angepflanzt werden. «Trudis Casa Na Bolom besteht weiter, und wir bemühen uns von der Schweiz aus, ihren Kampf fortzuführen», erklärte Präsidentin Kyra Nuñez-Johnsson, gleichzeitig für neue Mitglieder sowie Spenden werbend. Und Vizepräsidentin Yvonne Meyer Escobar hielt fest: «An Trudis Wirkungsstätte weiss man bestens über Wimmis Bescheid. Der Ort scheint sie sehr geprägt zu haben, denn sie hat immer davon erzählt.» Peter Rothacher (Berner Zeitung).
Trudi Blom in ihrer Wahlheimat Mexiko. Die Berner Oberländerin lebte hier während rund fünf Jahrzehnten, und sie geniesst in Chiapas auch nach ihrem Tod weiterhin ein hohes Ansehen. (Bild: zvg)
Vom politischen Kampf ins Umweltschutz-Engagement
Die gebürtige Oberländerin Gertrude Lörtscher betätigte sich in Europa politisch und engagierte sich unter anderem in der Widerstandsbewegung gegen Adolf Hitler.Als 17-Jährige verliess Gertrude, Tochter der Pfarrersfamilie Otto Lörtscher-Ritschard, ihr Elternhaus in Bern. Zuvor hatte sie ihre Kindheit in Wimmis verbracht und lernte nun zwei Jahre Gartenbau. In Zürich machte die junge Frau einen Abschluss in Sozialarbeit. Danach lebte sie ein Jahr lang bei einer Quäkerfamilie in England und einige Monate in der italienischen Stadt Florenz.
1925 musste Gertrude Lörtscher aber Italien verlassen und in ihr Heimatland zurückkehren, weil ihre journalistischen Arbeiten für sozialistische Zeitungen in der Schweiz den italienischen Faschisten unangenehm aufgefallen waren. Im gleichen Jahr heiratete sie in Lausanne den 25-jährigen Kurt Düby.
Sie war nun als Sekretärin der Frauensektion der deutschen SPD – für die sie von 1928 an Deutschland bereiste – tätig. 1930 liess sie sich von Kurt Düby scheiden und schloss offenbar 1933 mit dem deutschen Arbeiter Otto Piel eine Scheinehe, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Gertrude Düby konnte allerdings nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ihre politische Arbeit in Deutschland nicht fortsetzen und musste emigrieren. Sie organisierte den Weltfrauenkongress in Paris und in den USA und engagierte sich bis 1939 in der Widerstandsbewegung gegen die Diktatur Adolf Hitlers.
In Frankreich interniert
1940 wurde Gertrude Düby in das französische Internierungslager Camp de Rieucros bei Mende im Département Lozère eingeliefert, konnte Frankreich mithilfe der Schweizer Botschaft jedoch bald wieder verlassen. Sie emigrierte zuerst in die USA, wenige Monate später nach Mexiko, wo sie sich jetzt «Duby» nannte. In diesen Jahren war sie mit dem deutschen Journalisten Rudolf Feistmann liiert.
1943 liess sich die gebürtige Berner Oberländerin dann ich Chiapas nieder und engagierte sich fortan als Trudi Duby Blom für die dortigen Indianer, ihren Lebensraum und die Natur ganz allgemein. In ihrer Publikation «Der Dschungel brennt» warnte sie angesichts der Tropenwaldholzerei: «Wenn der Mensch diesen Planeten weiterhin so misshandelt, wie er es jetzt tut, dann werden die Folgen in naher Zukunft weit schrecklicher sein als jede Verwüstung, die eine Atombombe anrichten kann.»prr/pd
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